Verschwörungsfragen

Verschwörungsfragen

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Antisemitismus, Rassismus und generell Menschenverachtung werden über Sprache und Bilder tradiert. Daher wundere ich mich immer wieder, wie schlampig und manchmal sogar niederträchtig Menschen, die es besser wissen müssten, damit umgehen.Denn selbstverständlich ist es leichter, auch falsche Begriffe wie „Verschwörungstheorie“ immer weiter zu tragen, statt sie zu durchdenken und etwa durch bessere Begriffe wie „Verschwörungserzählung“ oder „Verschwörungsmythen“ zu ersetzen. Gegen solche Gedankenlosigkeit hatte bereits der weise und Traditionen überaus achtende Kung Fu Tse, in Europa als Konfuzius bekannt, vor zweieinhalb Jahrtausenden gewarnt, Zitat: „Lernen und nicht denken ist nichtig. Denken und nicht lernen ist ermüdend.“ – Zitat Ende - An dieses Wort muss ich immer wieder denken, wenn wieder zu lesen ist, sogenannte Querdenker hätten sich mit Sophie Scholl und der Weißen Rose „verglichen“. Dabei hat ja zum Beispiel Jana aus Kassel genau dies nicht gemacht: Sie hat sich gerade nicht angemessen mit Sophie Scholl und ihrem Schicksal in der NS-Diktatur verglichen. Sie hat sich vielmehr mit ihr „gleichgesetzt“. Und damit warf sie auf einer demokratisch genehmigten Demonstration unter dem Schutz der Polizei auch unsere Demokratie mit der NS-Diktatur in einen Topf. Immerhin hinterließ sie damit der Republik einen Beleg, dass Toleranz gegen Verschwörungsglauben nicht hilft.Denn hierbei handelte es sich nicht um den individuellen Aussetzer einer Halbgebildeten. Schon am 22. August 2020 hatte die Gruppe „Querdenken-713-Heilbronn“ gezielt in Sophie Scholls Geburtsstadt Forchheim demonstriert. 

Die Verschwörungsaktivistin Alexandra Motschmann imitierte am 4. September 2020 an der Ludwig-Maximilians-Universität in München den Flugblatt-Abwurf, der zur sofortigen Verhaftung der Geschwister Scholl führte. Selbstverständlich konnte sie dabei einkalkulieren, dass sie für ihre Aktion keine Verhaftung und schon gar keine Hinrichtung, sondern jede Menge hämischen Beifall zu erwarten hatte. Jeder ernsthafte Vergleich zeigt hier: Hier wurde nicht der Geschwister Scholl gedacht, sondern das Andenken der Ermordeten missbraucht.Bis zum Erscheinen dieser Podcast-Folge hinein im Mai 2021 reichte die Verbreitung gefälschter Zitate und des gezielten Missbrauchs von Namen und Symbolik der „Weißen Rose“ für Zwecke des Verschwörungsglaubens, der Covid19-Leugnung und des Angriffs auf den demokratischen Rechtsstaat.Sehr viele Verschwörungsgläubige zeigten sich also als unfähig, grundlegend unterschiedliche Regierungssysteme und ihr eigenes Verhalten darin ernsthaft zu vergleichen. Stattdessen versuchen sie plump, sich durch Gleichsetzungen selbst zu erhöhen, verdrängte Schuldgefühle wegen ihrer eigenen Verschwörungsmythen auf andere abzuwälzen und die Demokratie, deren Freiheiten sie nutzen, abzuwerten. Zum Sammelband „Fehlender Mindestabstand“ von Heike Kleffner und Matthias Meisner trug Robert Andreasch eine Übersicht über Vereinnahmungsversuche sogenannter „Coronarebellen“ gegenüber dem NS-Widerstand bei. Arnd Henze deutete im gleichen Buch diese Entgleisungen als „Fehlgeleitete Widerstandsromantik“. Denn, ja, hier tritt Gleichsetzung an die Stelle von Verstand – und auch von Anstand.Aber auch außerhalb der Querdenken-Szene dominieren nicht selten noch Verwirrung und Halbwissen. Die meisten von uns kennen Sophie Scholl eher nur als eine glatte, immer schon „Gute“, sowohl in Ost- wie Westdeutschland zivilreligiös heiliggesprochene Widerstandskämpferin. Wir wissen noch, dass sie sich mutig gegen das Dritte Reich gestellt und dies mit ihrem Leben bezahlt hat. Auf den meisten Bildern, die wir von Sophie Scholl kennen, schaut sie ernst und entschlossen. Wenn überhaupt noch ein weiterer Name der „Weißen Rose“ bekannt ist, dann der ihres Bruders Hans.Sophie Scholl als echter Mensch Entsprechend versuchte auch die Seawatch-Kapitänin Carola Rackete Sophie Scholl als linke Antifaschistin zu vereinnahmen. Doch die tatsächliche Sophie Scholl war sehr viel komplexer, widersprüchlicher und damit eben menschlicher als jeder Gut-Böse-Dualismus.Sie engagierte sich gemeinsam mit ihrem Bruder Hans gegen den Willen ihrer liberalen und christlichen Eltern lange, begeistert und erfolgreich in der Hitlerjugend. Neben einem tiefen, christlichen Glauben übte sie sich in Trotz und Widerständen von der Kleidung bis zum Rauchen und der Liebe. Und sie stieß erst spät zur Widerstandsgruppe der „Weißen Rose“ hinzu, die von ihrem homosexuellen Bruder und Wehrmachtssoldaten Hans Scholl mitbegründet worden war. Dieser hatte noch 1935 als einer von drei Fahnenträgern aus Ulm am NSDAP-Reichsparteitag in Nürnberg teilgenommen.Dennoch wurde Hans gemeinsam mit seiner Schwester Sophie, mit Christoph Probst und weiteren Widerständlern schon kurz nach ihrer Verhaftung vom fanatisch menschenverachtenden NS-Richter Roland Freisler zum Tode verurteilt und hingerichtet.Dass in diesen Tagen auch noch Fritz Keller, immerhin Präsident des Deutschen Fußballbundes (DFB), einen Kontrahenten mit dem mörderischen Richter Freisler gleichsetzte, zeigt erneut, dass formale Bildung alleine niemandem vor innerem Chaos schützt.Einen dagegen tieferen und vor allem weiteren Einblick in das Leben und Sterben der Widerstandsgruppe bietet Werner Milstein in seiner eindrucksvollen und mit Bildern versehenen Biografie unter dem Titel „Einer muss doch anfangen! Das Leben der Sophie Scholl“ beim Gütersloher Verlagshaus. Dabei schildert er auch die Brüche in Sophies Leben – etwa Zerwürfnisse in der Familie oder auch ihre zeitweise Begeisterung für die Hitlerjugend und den Bund Deutscher Mädel (BDM). Zudem gelingt es Milstein, das soziale Netz und also auch andere wichtige Mitwirkende der „Weißen Rose“ in den Blick zu nehmen. So verweist er beispielsweise auf den ebenfalls hingerichteten, russisch-orthodoxen Christen Alexander Schmorell, der 2012 von seiner Kirche als Märtyrer anerkannt wurde. Als Ergänzung zu Milsteins Biografie bewegte mich zudem das Büchlein „Sophie Scholl - Lesen ist Freiheit“ von Barbara Ellermeier bei bene! Die Historikerin richtet dabei den Blick darauf, wie das oft verbotene Lesen alter und religiöser Texte es der jungen Frau ermöglichte, sich auch inmitten von Gruppendenken nach und nach der neuzeitlichen NS-Propaganda zu entziehen.Wer sich mit dem NS-Regime und der „Weißen Rose“ ernsthaft auseinandersetzen möchte, verzichtet also besser auf plumpe Gleichsetzungen. Denn hinter den vereinfachten Oberflächen verbergen sich interessante, widersprüchliche und genau damit bedenkenswerte Menschen, die etwas viel Größeres vollbracht haben, als „immer nur Gut zu sein“: Sie schafften es, leidenschaftlich zu leben und doch auch an ihren eigenen Überzeugungen zu zweifeln. Und genau damit waren und sind sie allen dumpfen Rechthaber:innen auch heute überlegen.Denn vernünftige, demokratisch gesinnte Menschen suchen immer wieder neu nach Wahrheit, auch wenn es ihnen selbst weh tut. Dualist:innen und Verschwörungsgläubige wollen dagegen unbedingt Recht haben, auch wenn sie damit sich selbst und anderen schaden. Sie halten sich gerne für „skeptisch“, ja „kritisch“, aber ihr sogenanntes „Hinterfragen“ und „Querdenken“ richtet sich kaum jemals auf die eigene Gruppe und das eigene Mitläufertum.Bisher sehr gelungen finde ich daher den Instagram-Account @Ichbinsophiescholl. Er reflektiert seine Medialität selbst, in dem er die historische Sophie mit einer Kamera und einem Insta-Account kombiniert. Gezeigt wird so eine junge Frau mit deutlich mehr Facetten, die auch lacht und zweifelt, sich auf ihr Studium und ihr neues Leben in München freut und ihre erste große und verstörende Liebe erfährt. Sophie – dargestellt von Schauspielerin Luna Wedler – erzählt ihre Geschichte selbst. Die inzwischen Hunderttausenden Zuschauenden sind live bei den Entwicklungen dabei und erleben sie nah und in Echtzeit mit. Ein Film oder eine dicke Biografie können eine solche Nähe und Authentizität nicht erzeugen. Sophie Scholl wird in ihrer Menschlichkeit und Widersprüchlichkeit „relatable“. Und gleichzeitig lädt diese Performance auch die junge Generation dazu ein, sich eben nicht mit ihr gleichzusetzen – sondern ernsthaft zu vergleichen.Auch junge Menschen fragen sich nun: Was wäre, wenn es soziale Medien wie Instagram bereits in den 1930er und 1940er Jahren gegeben hätte? Was wäre, wenn Sophie Scholl Influencerin mit 100.000enden FollowerInnen gewesen wäre? Haben Influencer:innen also neben allem Fame auch eine Verantwortung für die Gesellschaft? Würde Sophie Scholl am 9.5. ihren 100. Geburtstag feiern – wie ihre ältere Schwester Elisabeth, die 2020 einen Tag nach ihrem hundertsten Geburtstag in Stuttgart starb? Deutlich wird: Nur Sophie Scholl war Sophie Scholl. Und nur Du kannst Du sein.Und so steigt die Frage noch drängender auf: Wie kommen Menschen überhaupt dazu, sich aufgrund einschränkender Hygiene-Maßnahmen zur Eindämmung einer weltweiten Pandemie mit den Mitgliedern der „Weißen Rose“ gleichzusetzen, die für ihre hart errungen Überzeugungen ihr Leben opferten?Israelbezogener AntisemitismusDiese Frage wird mir oft gestellt – und ich fürchte, dass die Antwort viele ernüchtern wird. Denn das Phänomen der grotesken Gleichsetzungen gerade auch mit Bezug auf das NS-Regime und das deutsch-jüdische Verhältnis ist noch immer sehr weit verbreitet. So stimmten laut der aktuellen Leipzig-Studie, für die wir eine Baden-Württemberg-Sonderauswertung beauftragt haben, noch in 2020 rund 30 Prozent der Erwachsenen in Deutschland der Aussage zu, Zitat: „Israels Politik in Palästina ist genauso schlimm wie die Politik der Nazis im Zweiten Weltkrieg.“ – Zitat Ende - In Baden-Württemberg sind es sogar noch etwas mehr.Und wie gerne würde ich vermelden, das habe nur mit fehlender Bildung, mit mangelndem Wissen zu tun. Aber gerade auch im Umgang mit israelfeindlichen Gruppen bekomme ich ein ganz anderes Bild geboten. Die meisten Teilnehmenden anti-israelischer Gruppen wissen sehr wohl, dass in Israel ein Parlament – die Knesset - gewählt wird, dem auch arabische, muslimische und christliche Abgeordnete angehören. Sie wissen von der dortigen Gewaltenteilung und einer ethnisch und religiös vielfältigen Justiz, die selbst Regierungschefs anzuklagen vermag. Israel steckt, ebenso wie viele Demokratien derzeit, in einer politischen Krise – aber es ist noch immer eine Demokratie und weder ein Apartheids-Regime, das etwa Muslimen Wahlrechte verwehren würde, noch eine mörderische Diktatur.Dagegen hat die Hamas nach dem Abzug Israels im von ihr kontrollierten Teilstaat ein Terror- und Schreckensregime eingerichtet. Verschiedenste Freiheiten und politische Oppositionelle werden von Folter und Gewalt bedroht. Demokratische Wahlen werden immer wieder vertagt. Das knappe Geld – darunter auch erhebliche Zahlungen aus Europa – werden nicht etwa konsequent für eine verantwortliche Entwicklung der Region und für Bildung verwendet, sondern in erheblichem Anteil für die Herstellung und den Abschuss von Raketen auf das benachbarte Israel. Nach meiner Erfahrung wissen die allermeisten, vermeintlichen Friedensfreund:innen darüber auch Bescheid. Doch es geht ihnen gar nicht um die Freiheit und die Menschenrechte von Palästinenserinnen und Palästinensern. Es geht ihnen auch nicht um eine gerechte Friedenslösung oder auch nur um einen Dialog darüber. Es geht ihnen stattdessen nur darum, den Staat Israel zu dämonisieren, die Konflikte weiter zu schüren und dabei den eigenen Antisemitismus zu verschleiern. Auch deswegen bestehen sie aktuell in Freiburg darauf, ihre Demonstrationen genau dort zu verrichten, wo einst die vom NS-Regime zerstörte Synagoge stand. Sie wissen sehr wohl, was sie tun – und wem sie damit etwas antun. Da muss es uns wirklich nicht mehr überraschen, dass NS-Gleichsetzungen auch gegen die bundesdeutsche Demokratie eingesetzt werden. Im bereits erwähnten Sammelband „Fehlender Mindestabstand“ beschreibt Katharina Warda, wie eine Querdenken-Demonstration in Braunschweig gezielt am 9. November 2020, dem Tag der Reichspogromnacht und des Mauerfalls, unter dem Motto „Geschichte gemeinsam wiederholen“ angemeldet wurde. Als Beginn des Demonstrationszuges wurde 18:18 Uhr angegeben – wobei die 18 auch als rechtsextremer Code für den ersten Buchstaben A und den achten Buchstaben H, für Adolf Hitler gilt. Vor dem zu Recht entstehenden Gegenwind wichen die Demokratieverächter dann immerhin zurück.Die NS-Gleichsetzungen durch Roland BaaderWer aber verstehen will, wie immer mehr Menschen auch aus der politischen Mitte so tief sinken konnten, sollte sich das verhängnisvolle Werk des 2012 verstorbenen Baden-Württembergers Roland Baader anschauen. Er erhielt nicht nur Nachrufe in der rechtsgerichteten „Junge Freiheit“, sondern auch posthum eine nach Friedrich August von Hayek benannte Medaille. Zudem wurden nach Baaders Tod von einer Anlagenverkäufergruppe finanzierte Auszeichnungen in seinem Namen verliehen.Dabei hatte Baader nicht einmal selbst behauptet, wissenschaftlich wegweisende Sachbücher geschrieben zu haben. Er bot stattdessen Polemiken auf Basis verkürzter, vergröberter und entstellter Werke liberaler Vordenker, die auf einen einfachen Dualismus reduziert werden: Guter Markt versus verschwörerischer Staat. Baader verstand sich als Publizist, der nach dem Zusammenbruch des sozialistischen Ostblocks ein neues Feindbild für Liberale und Libertäre anbot: Die soziale, demokratische und beginnend ökologische Märktewirtschaft. Dabei wurde und wird Baader von Libertären für sein großes Geschick gefeiert, gerade auch junge Menschen mit einfachen Botschaften anzusprechen, einzufangen und zu radikalisieren.Besonders deutlich wird dies in seinem einschlägigen Werk „Die belogene Generation“, dessen erste Ausgabe 1999 erschien und das tatsächlich direkt mit einer Gruppe widerständiger Studierender bebildert wurde. Es wird im Klappentext von dem erklärten Demokratiegegner Hans-Hermann Hoppe empfohlen und besonders „Studenten und Schülern sowie deren Eltern und Erziehern“ ans Herz gelegt. Auch mir wurde noch als Student dieses widerliche Werk gönnerhaft empfohlen. Und wer noch bezweifelt, wie viele vor allem junge Menschen durch so geförderte Baader-Texte getäuscht und radikalisiert wurden, braucht sich nur einmal auf Twitter umzuschauen, wie viele Timelines und auch Profile vor allem junger Libertärer sich auch heute noch mit Baader-Zitaten „schmücken“.Schon in seinen „einführenden Hinweisen“ zur „belogenen Generation“ verniedlichte Baader den Nationalsozialismus als Unterart des Sozialismus, Zitat (S. 8): „Der braune Sozialismus war und ist nur eine Variante des roten Sozialismus.“ – Zitat Ende – „Die Deutschen“ waren laut Baader nicht etwa Täter, sondern – Zitat (S. 9): „Zeugen und millionenfach Selbstbetroffene zweier sozialistischer ‚Realexperimente‘, nämlich des roten Sozialismus in der Sowjetunion nach der Oktoberrevolution – und später im sogenannten Ostblock, sowie des braunen Sozialismus auf ihrem eigenen Boden.“ – Zitat Ende –Nicht in der NSDAP, sondern nur bei der SED benannte Baader hierbei „Täter“, für die man jedoch nach der Wiedervereinigung zum „Verständnis aufbringen“ gezwungen werde (S. 11). Die wiedervereinten Deutschen hätten, Zitat (S. 11) „nunmehr gemeinsam eine neue, diesmal rot-grüne Sozialismus-Variante“ gewählt. – Zitat Ende - So würden die Medien europaweit nicht nur meistens unwahr berichten, sondern auch einseitig die Gefahren des Rechtsextremismus thematisieren. (vgl. S. 23)

Und Forschende und Lehrende, die nicht seine Version des „Minimalstaates“ vertreten, beschimpfte Baader als – Zitat (S. 31) „Wissenschaftshuren“ und das deutsche Schulsystem als – Zitat (S. 34) „Kidnapping unserer Kinder zum Zwecke der hoheitlichen und seitens der Betroffenen unabwendbaren Indoktrination.“ – Zitat Ende -Und selbstverständlich kann und soll man unser Bildungssystem auch kritisieren. Die Kultusministerien gelten nicht zufällig unter den politischen Ressorts in Deutschland als außerordentlich schwierig. Aber Baader übte gerade keine ernsthafte Kritik, sondern versteckte den Nationalsozialismus gezielt in einer Flut von Sozialismus-Varianten, um danach bundesdeutsche Lehrerinnen und Lehrer anzugreifen. Zitat (S. 46): „Was vormals der Marxismus-Leninismus, der Stalinismus, der Hitlerismus, der Ulbricht-Honeckerismus, der Maoismus, der Pol-Potismus, Hodschaismus, Cschaucheskuismus etc. besorgt hat, nämlich die Vernichtung des in Jahrtausenden gewachsenen Wertegefüges der menschlichen Zivilisation, das vollbringen hierzulande und heute die linksbeflissenen Lehrer an den Schulen und Hochschulen auf die sanftere Tour durch das ‚Hinterfragen‘ und ‚Entlarven‘ der sogenannten ‚bürgerlich-kapitalistischen‘ und ‚paternalistisch-autoritären‘ Strukturen der westlichen Gesellschaften.“ – Zitat Ende – Schon 1999 war „Deutschland“ laut Baader „zu rund drei Vierteln ein sozialistisches und staatsdirigistisches Land“. (S. 67)Und in diesem radikalisierenden Ton geht es seitenweise weiter, gerne auch mal mit antisemitischen Anspielungen wie dem – Zitat (S. 98) „Pharisäergehabe der Gewerkschaftsfunktionäre“ sowie Verschwörungsmythen über Staats- und Papiergeld versus Gold und Privatgeld. Es wird also schnell klar, warum sich Anhänger des sogenannten Kulturmarxismus-Verschwörungsmythos, Gold- und Finanzverkäufer für die Verbreitung von Baaders Verschwörungswerken engagieren. Wenn der demokratische Staat mitsamt seinem Banken- und Gesundheitssystem als räuberisch und verschwörerisch erscheinen – dann schlägt die Stunde der vermeintlich rettenden Anlageberater und Crashpropheten sowie der esoterischen Abzocker. Mit Verschwörungsmythen und Antisemitismus wird in Deutschland, Österreich und der Schweiz auch jede Menge Geld verdient.Demokratische Politik kam bei Baader dagegen als Bedrohung der individuellen Freiheiten grundsätzlich schlecht weg. Zitat (S. 147): „Auch demokratisch zustande gekommene Mehrheitsentscheidungen sind Kollektiventscheidungen. Die autonome Entscheidung der Person über ihr Eigentum (Leben, Körper und Früchte der Arbeit) geht jeder Kollektiventscheidung vor. Entscheidet ein Kollektiv über diese Rechte, so ist das Rechtsverletzung…“ – Zitat Ende – Selbst einfachste Widerlegungen dieser plumpen Entgegensetzung ließ Baader nicht gelten: Im Straßenverkehr gewinnen alle durch gemeinsame Regeln an Freiheit und Sicherheit. Wenn Menschen völlig frei Waffen besitzen und benutzen dürfen, dann beschränken sie Freiheit und Sicherheit aller anderen. Wer den eigenen Grund und das eigene Wasser vergiftet, schadet damit immer auch den Nachbarn – und so weiter. Doch den Liberalen Karl Popper wollte Baader nur auf Sozialisten angewendet wissen – für seine eigene, dualistische Ideologie lehnte er jede kritische Überprüfung ab.

Auch die meisten Kirchenvertreter bekamen bei ihm schließlich als – Zitat (S. 209) „neupharisäische Politpfaffen des sozialdemokratischen Jahrhunderts“ ihr judenfeindlich konnotiertes Fett weg. Träten Sie aber für den „Sozialismus“ oder auch nur den „Weichspüler-Sozialismus des Sozialstaates“ ein, so betrieben sie laut Baader „in Wahrheit das Geschäft der politischen Götzendiener.“ (S. 210) – Zitate Ende – Drei Schritte zur NS-GleichsetzungAm Beispiel des bis heute beworbenen Roland Baader wird also sehr deutlich, dass es nur drei Schritte braucht, um die heutige Bundesrepublik mit dem Nationalsozialismus gleichzusetzen. 1. Der Faschismus wird mit allen Varianten des Sozialismus gleichgesetzt. 2. Heutige, demokratische Parteien werden mit radikalem Sozialismus gleichgesetzt. Und so werden schließlich 3. Antifaschismus und Faschismus gleichgesetzt. Und wer über Jahre und Jahrzehnte hinweg einen so radikalen Individualismus-Kollektivismus- und Markt-Staat-Dualismus vermittelt bekommt, verliert schließlich den Zugang zu Wissenschaften, zur Realität und schließlich zur Demokratie. Jeder politisch Andersdenkende wird hier zum Feind, ja zum Bestandteil einer vermeintlichen, kulturmarxistischen Weltverschwörung. Hier also finden wir giftige Traditionen auch aus der vermeintlich bürgerlichen Mitte, die Menschen auch heute so weit radikalisieren, dass diese eine demokratische Republik mit dem NS-Regime gleichsetzen und sich selbst opferneidisch an Stelle der tatsächlich NS-Ermordeten wie Sophie Scholl und Anne Frank stellen, sich gar Judensterne aufkleben.Und während Roland Baader selbst wohl noch Hinweise auf die Abgründe solchen Verschwörungsglaubens empört von sich gewiesen hätte, findet der Baader-Schüler und Bücher-Erbe Rahim Taghizadegan schon nichts mehr dabei, anlässlich eines „Robert-Baader-Treffens“ 2016 mit Tilman Knechtel digital aufzutreten. Dessen massiver, libertärer Antisemitismus war bereits in Folge 9 dieses Podcasts Thema. Knechtel beruft sich in seinem „Rothschild“-Buch nicht nur direkt auf Baader, sondern behauptet auch, dass eine jüdische Weltverschwörung beide Weltkriege und den Holocaust selbst ausgelöst habe, um die Gründung des Staates Israel zu erzwingen. Und derzeit bereite das Weltjudentum den dritten Weltkrieg vor.Nicht nur auf Amazon und Audible wird dieses zutiefst antisemitische Werk noch immer bejubelt und beworben. Doch ich will nicht glauben, dass der verschwörungsgläubige Dualist Baader so tief gesunken wäre wie einige seiner Schüler. Ich sage es also deutlich: Wenn sich vermeintlich Freiheitliche in Deutschland, Österreich und der Schweiz nicht einmal mehr gegenüber so massivem Antisemitismus abgrenzen können und zugleich demokratische Parteien beschimpfen - dann haben sie jedes Recht verloren, sich demokratisch oder gar liberal zu nennen. Wo freiheitliche Demokratien ganz gezielt mit dem NS-Regime gleichgesetzt werden, hat jede liberale Toleranz zu enden.FazitSophie Scholl und die „Weiße Rose“, generell die Opfer des NS-Regimes und anderer Tyranneien verdienen es, dass wir ihre Erinnerung gegen diejenigen verteidigen, die vor lauter Verschwörungsglauben nicht mehr zwischen Diktatur und Demokratie unterscheiden wollen. Dies gilt auch und gerade, wenn sich die Verschwörungsgläubigen und Antisemit:innen dabei vermeintlich auf die Freiheit berufen. In der Covid19-Pandemie sehen wir nun doch alle, wie Verschwörungsgläubige sich selbst und andere gefährden und unseren Rechtsstaat ebenso wie Israel verachten und schmähen. Deswegen halte ich einiges vom Vorschlag meines Bundes-Kollegen Felix Klein, den weiteren Missbrauch von Judensternen auf demokratiefeindlichen Demonstrationen als Verhöhnung von tatsächlich Ermordeten der Schoah zu verbieten. Entscheidend wird jedoch sein, ob wir auch darüber hinaus im Rahmen der Meinungsfreiheit endlich jenen die Stirn bieten, die unter vermeintlicher Palästinenser- oder Freiheitsfreundschaft gerade auch junge Menschen mit NS-Gleichsetzungen gezielt vergiften und radikalisieren.Wahrscheinlich können wir nicht mehr alle dieser auch antisemitisch Verschwörungsgläubigen in die Realität zurückholen – aber ich finde, wir sollten ihnen keinesfalls noch eine Generation überlassen. Fangen wir doch einfach bei uns selbst und in unserem eigenen Milieu an, zwischen konstruktiven Vergleichen und niederträchtigen Gleichsetzungen zu unterscheiden.Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. Bitte bleiben Sie gesund.